Einladung ins Theater, an einen ungewöhnlichen Ort. Türkische Läden, Obst und Gemüse dekorativ ausgestellt. Alle Tische und Stühle vor den Restaurants an diesem lauen Sommerabend besetzt. Friedliches Miteinander von Kreuzbergern aus der Türkei, aus Schwaben und anderen deutschen Landen. Viel junges Volk, sehr leicht bekleidet, dazwischen Kopftuchverhüllte. Hier ein Theater? Die Wegbeschreibung nachlesen: „Kottbusser Tor, Neues Zentrum Kreuzberg, Galerie 1. OG, Zugang über Außentreppe Adalbertstraße 96.“
Endlich angelangt. Ein nüchterner Werkstattraum mit Betonpfeilern und „technischer“ Decke, sonst meist bespielt von der „Vierten Welt“. Am Eingang werden die Besucher vom Chef persönlich begrüßt: vom Regisseur und Haupt-Autor der „multimedialen Performance“ mit dem Titel „Paradies Karibik“. Viele kennt er. Es sind Mitglieder des „Club Tipping Point“ für Künstler aller Sparten, den er 2007 mitgegründet hat und dessen künstlerischer Leiter er ist. (…)
Der Regisseur Christoph Gosepath findet viel Gemeinsames im Umgang mit Patienten und mit Schauspielern: Man muss sich auf jeden ganz individuell einstellen, um ihn erfolgreich führen zu können.
Jetzt in Kreuzberg gelang dies sichtlich. „Paradies Karibik“? Das Urlaubskartenklischee kam dem Großstadtpaar auf Kreuzfahrt schnell abhanden. Der Berliner Workaholic und seine Freundin mit dem Schuhtick fangen schon auf dem Schiff an, ihre Illusionen zu verlieren: Sturm, Seekrankheit. Und gleich nach der Landung Koffer geklaut. Das Ferienhaus nicht am weißen Sandstrand unter Palmen, sondern dicht am bedrohlichen Dschungel. Ungeziefer, Reisediarrhoe, Langeweile und viel Rum. Da kreuzt „Der Schwarze“ auf, singt, tanzt, erzählt vom Leben der Einheimischen, will auch von seinem Voodoo-Vater berichten … So endet die „Multimediale Performance“.
Das Wort klingt großkotzig, aber hier wird mit einfachen und phantasievollen Mitteln viel Wirkung erzielt: in der Mitte des Raums ein paar Tische mit Modellen des winterlichen Berliner Bungalows, des Kreuzfahrtschiffes, des Urwalds, und auf einer Drehscheibe tanzen die Puppen: Die Protagonisten als winzige Figürchen, von den beiden lebenden Schauspielern an Metallstäben geführt.
Samt Ambiente werden sie agierend auf zwei Leinwände projiziert, und manchmal erscheinen dazwischen die Köpfe der Schauspieler im Großformat. Mit Worten wird gespart(die Reisediarrhoe z. B. ist nur durch wiederholte Spülgeräusche angedeutet), die Tonspur mit Klassik, Jingle Bells, Karibischer Musik und Urwaldlauten ist dem Geschehen gut angepasst. – Ein phantastischer Gesamteindruck. Die angestrebte „Annäherung an den Kulturraum Karibik“ ist gelungen. Aber warum gerade Karibik? Weil ein Mitglied des Klubs „Tipping Point“ ein Haus auf einer karibischen Insel erbte. Und da würden sie gern Theater machen. Eine Utopie?
(Rosemarie Stein in: Berliner Ärzte 9/2013 S. 34)