Eine multimediale Performance nimmt das Karibik-Paradies-Klischee auseinander
Weiße Traumstrände und tiefblaues Meer unter glühender Sonne: Für uns kältegebeutelten Nordeuropäer ist die Karibik Traumziel und Sehnsuchtsort in einem, die Werbung hat eine Art Schlaraffenland erschaffen, in der immerfreundliche Menschen zu Samba-Rhythmen fruchtige Cocktails servieren. Die Realität Armut, Krankheit, Naturkatastrophen wird
da gerne außen vor gelassen. Aber inwiefern ist die Karibik nun das von uns erträumte Paradies? Gibt es das überhaupt?
Diesen Fragen spürt die Künstlergruppe club tipping point in ihrer multimedialen Performance »paradies karibik« in der »Vierten Welt« in Kreuzberg nach.
Puppen- und Objekttheater, Schauspiel, Musik und Film werden in dem vielschichtigen Projekt geschickt miteinander verwoben. »paradies karibik« nähert sich dem Thema von zwei Seiten her: Per Objekttheater, mit winzigen StabPuppen und liebevoll erbauten Modellen dargestellt und ergänzt durch filmische Sequenzen, wird die Geschichte eines Berliner Paares erzählt, das seinem unbefriedigenden Großstadtleben Richtung Sonne entfliehen will, aber auch auf der Reise nicht das große Glück findet.
Auf der stürmischen Kreuzfahrt werden die beiden seekrank, im lauten, schmutzigen Ankunftsort fühlen sie sich ebenso fremd wie im Bungalow mitten im nächtlichen Dschungel; erst Rum und die bekannten Klänge einer VerdiOper machen ihnen die neue Umgebung mit ihren unbekannten Geräuschen erträglich.
Die ObjekttheaterEbene wird verlassen, die Puppenspieler (Nicole de Cruppé, Sebastian Becker) agieren nun als Darsteller, als die beiden »den Schwarzen« kennen lernen und sich mit ihm zumindest ein Stück weit auf Land und Leute einlassen. Zu den Klängen einer LiveCombo wird getrunken und getanzt, kurz blüht südliche Lebensfreude auf. Doch die Eifersucht des Mannes, der seine blonde Frau nur ungern mit dem karibischen Mann tanzen sieht, zerstört den kurzen Moment der Annäherung schnell wieder.
Unterbrochen wird diese recht typische Touri-Geschichte durch eingestreute Überlegungen des »Schwarzen« (Patrick Joseph), den der Zuschauer weit eher kennen lernt als das fiktive Paar. Sich auf improvisiert wirkende Art an das Publikum wendend, referiert er so (selbst) ironisch wie klug über Reichtum und Armut, Religion und die von den Touristikunternehmen geschickt gesteuerte Suche nach einem Paradies auf Erden. Nebenbei erfährt der Zuschauer einiges über den Alltag eines schwarzen Schauspielers in Deutschland und seine Zuschreibung auf typisch »schwarze« Rollen. »Wir wissen doch: Figuren haben keine Haut«, witzelt Joseph nicht ohne etwas Bitterkeit.
Hintergründig und doch mit Humor deckt das Stück Klischees auf, entlarvt individuell scheinende Träume als Massenware und zeigt dabei doch Sympathie für die Protagonisten. Patrick Joseph gibt den »KaribikSchwarzen « mit lässigem Selbstbewusstsein und ungeheurer Energie, immer wieder wendet er sich direkt ans Publikum. Ein Stück zum Nachdenken, von einer Künstlergruppe, die sich die Auseinandersetzung mit Begriffen wie Utopie, Freiheit und Zeit zum Ziel gesetzt hat und dabei die Grenzen zwischen Gesellschaftspolitik, Philosophie und spielerischer Kunst bewusst missachtet.
(Anouk Meyer in Neues Deutschland vom 24.7.2013)