Christoph: Wie kamst Du auf die Idee zu dem Projekt „Listening to the city“?
Julián: Die erste Version der Arbeit wurde von Satellit in Auftrag gegeben, einem Ort, der sozusagen als Satellit des Hauses der Statistik fungiert und einen kritischen Ansatz zu Stadt und Architektur verfolgt. Die Einladung kam von Erik Goengrich und Peter Schmidt, die gerade einen Zyklus von Spaziergängen entwickeln, in denen sie immer vom gleichen Punkt zum anderen führen und bei denen sie verschiedene Gäste aus unterschiedlichen Disziplinen einladen, um ein Thema zu entwickeln und darüber zu sprechen.
Sie schlugen mir vor, einen „Soundwalk“ zu machen, was jetzt fast schon ein eigenes Genre ist. Das sind Spaziergänge, die normalerweise in der Stille stattfinden, mit Schwerpunkt auf dem Zuhören. Diese Aktivität schien mir interessant, und in der Tat ist das Spazierengehen ein grundlegender Teil meines eigenen kreativen Prozesses.
Gleichzeitig dachte ich darüber nach, wie ich dem Ganzen eine eigene Wendung geben, wie ich dieses „Format“ näher an meine eigenen Forschungen und Interessen als Künstlerin heranbringen könnte. Zum Beispiel, wie ich einen „Vortrag“ halten würde, ohne dass der Klang meiner Stimme die Geräusche der Stadt überlagert, oder wie ich eine Lektüre oder Reflexion dieses Spaziergangs vorschlagen könnte, ohne die Erfahrung selbst dabei zu beeinträchtigen. So entstand die Idee für diese erste Version, bei der wir zuerst als Gruppe den Spaziergang machten und dann unmittelbar danach den Film darüber sahen und hörten, wobei auch die Sprache in Form von stummen Untertiteln integriert wurde.
Christoph: Zunächst möchte ich sagen, wie dankbar ich bin, dass ich an diesem warmen, sonnigen Juninachmittag zu dem Soundwalk eingeladen wurde. Ich war sofort dabei, denn ctp interessiert sich sehr für Geräuschphänomene in der Stadt, für Lärm, Brise, Gesprächsfetzen, Stimmen von Menschen und Vögeln usw. Wir betrachten diese unter dem Aspekt, inwieweit wir von den Geräuschen der Stadt gestresst oder sogar krank werden: Welche Geräusche sind „gut“ und welche sind „schlecht“? Wir arbeiten an der Frage von „Krankheit und Stadt“ in einem webbasierten Projekt.
Also bin ich mit der Gruppe sehr neugierig losgelaufen und habe mich auf die Geräusche konzentriert. Nebenbei habe ich gesehen, dass du hüfthoch gefilmt hast, aber das war mir egal. Niemand sprach während des Gehens ein Wort, alle hörten zu. Als wir im Satellit-Raum ankamen, wurden wir eingeladen, uns einen kurzen Film über einen solchen stillen Spaziergang anzusehen. Ich sah dann einen Film über einen Spaziergang mit Kommentaren zu den Geräuschen in Bezug auf Rhythmus und Musik, der mit Untertiteln versehen war. Beim Sehen stellte ich fest, dass er eine fast identische Kopie des Spaziergangs war, den wir gerade gemacht hatten, aber es konnte nicht unser Spaziergang gewesen sein! Wie konnte es so schnell gehen – inhaltlich und auch technisch? Oder: wie konnte man einen Spaziergang vorher filmen, fast mit den gleichen Geräuschen, dem gleichen Wetter, den gleichen Autos? Als Zuschauer war ich in dieser typischen Kluft gefangen, eine fiktive Geschichte zu erleben und mich mit ihr durch Einfühlen zu identifizieren – und dabei zu denken: „Das ist echt!“.
Aber erst später erfuhr ich, dass dies der Spaziergang war, den wir gemacht haben – und dass die Kommentierung von dir in ein paar Minuten gemacht wurde, als das Publikum für einen Moment durch eine Einladung zum Kaffee abgelenkt war. Das hatte für mich einen großen performativen Reiz – und ich dachte, ich muss dich bitten, das auch in unserem digitalen Projekt zu machen.
Julián: Ja, ich war angenehm überrascht zu sehen, wie diese erste Wirkung funktionierte. Ich bin sehr an diesem Übergang zwischen der echten Erfahrung und ihrer Darstellung interessiert, und auch an der Möglichkeit, den Klang einer Erfahrung erneut zu hören, wie beim Wieder-Lesen eines Buches, dabei „schweigend“ zu sprechen und das bewegte Bild einzubeziehen
Christoph: Sehr schön gemacht, Julián!
Julián: Später batest du mich, nach einer Möglichkeit zu suchen, das Projekt in ein webbasiertes interaktives Projekt umzuwandeln. Zuerst dachte ich, das sei nicht möglich, aber wir begannen, bei einer Tasse Kaffee darüber zu reden … und daraus ist diese neue Zusammenarbeit entstanden …
Christoph (lacht): Ja! Und wir waren beide sehr schnell überfordert, brauchten technische Hilfe, einen Programmierer. Du hast mir Federico Isasti vorgestellt. Woher kennst du ihn?
Julián: Federico ist nicht nur ein großartiger Programmierer, er ist auch ein großartiger Musiker. Ich habe ihn vor ein paar Jahren in Buenos Aires kennengelernt. Er nahm an einem Aufbaustudiengang teil, in dem ich unterrichte, aber wir haben auch viele gemeinsame Freunde, vor allem aus der Welt der experimentellen Musik. Als wir anfingen, über diese Webversion zu sprechen, war er gerade auf Reisen, lebte für einige Monate in Berlin und nutzte die Gelegenheit, hier zu spielen, so dass er mir als idealer Komplize erschien, und das war er auch.
Für diese interaktive Version wollte ich, dass der Text jedes Mal anders ist und mit der Grenze zwischen Kontrolle und fehlender Kontrolle spielt, oder zwischen Komposition und Improvisation, um es anders auszudrücken. Und es gelang ihm, diese Art von Rätseln zu lösen und so die Möglichkeiten des Projekts zu eröffnen.
Christoph: Wie war, abgesehen davon, der Anpassungsprozess an die Website?
Julián: Zuerst war dies zu nah am ursprünglichen Projekt, daher dachte ich, das würde nicht funktionieren … Die Idee war, die verschiedenen Etappen des tatsächlichen Spaziergangs als Video wiederzugeben … aber dann tauchte die Möglichkeit der Interaktion auf, also das Internet zu verlassen und einen echten Spaziergang zu unternehmen. Und die Möglichkeit, ein Archiv zu erstellen. Mich faszinieren Archive, Atlanten und Sammlungen allgemein.
Also interessierte all dies mich und es erinnerte mich an eine Unterhaltung über Stadt, Architektur und Klang, die ich seit vielen Jahren mit einer großartigen Freundin führe, Emilia Pascarelli. Sie ist Architektin und die Gespräche mit ihr halfen mir, dem neuen Experiment seine endgültige Form zu verleihen.
Unterhaltungen mit Freund:innen wurden zusammen mit Spaziergängen ein grundlegender Teil meines persönlichen Arbeitsprozesses, so dass auch von daher alles Sinn für mich machte.
Christoph: Ok, dann lass uns den Besucher:innen unserer Seite zeigen, wie das funktioniert: ->listeningtothecity.
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